«Leserbriefe und die Grenzen der freien Meinungsäusserung»

23.03.2022

Sie werden gern gelesen, von vielen noch lieber geschrieben und sorgen auf die unterschiedlichsten Arten für rote Köpfe: die Leserbriefe in den Landeszeitungen. Grund genug für den Liechtensteiner Pressclub (LPC), dem Thema eine Veranstaltung zu widmen. Die Meinungen prallten zwar nicht so heftig aufeinander wie in den Leserbriefspalten, waren aber durchaus kontrovers.

«Leserbriefe sind eine schriftliche Meinungsäusserung zu einem bestimmten Thema», zitierte Carmen Dahl, Präsidentin des Liechtensteiner Presseclubs (LPC), die Online-Enzyklopädie Wikipedia. Der Verein kombinierte die in Liechtenstein äusserst beliebte Textform Leserbrief in einer Podiumsdiskussion mit dem Recht auf freie Meinungsäusserung. Das erste Wort hatte mit der gebürtigen Vorarlbergerin Carmen Sprenger-Lampert eine eifrige Leserbriefautorin, die ihre Motivation zum Schreiben damit begründete, dass Freiheit für sie eben auch Meinungsfreiheit bedeute. «Ich lebe seit 1998 in Liechtenstein und habe gemerkt, dass manche Hemmungen haben, sich hinzustellen und sich zu outen. Mir ist es aber wichtig, dieses Recht zu nutzen. Die Liechtensteiner sind diesbezüglich, so denke ich, etwas gehemmter.»

Von Kündigungen und Diskriminierungen

«Vaterland»-Chefredaktor Patrik Schädler verwies darauf, dass Leserbriefe in Liechtenstein lange anonym veröffentlicht worden sind, was vielleicht zu einer gewissen Zurückhaltung führe, seit dies nicht mehr so ist. Dass Leserbriefe polarisieren, merkt er aber in seiner täglichen Arbeit. «Wir hatten im vergangenen halben Jahr fünf Abokündigungen wegen Leserbriefen.» Wobei die Diskussion zeigte, dass es nicht nur die Inhalte sind, die Abonnenten in Rage bringen, sondern auch die Tatsache, dass Einsendungen nicht veröffentlicht werden oder dass sie immer wieder aus ein und derselben Feder stammen. Beide Liechtensteiner Tageszeitungen haben daher Richtlinien, an die sie sich bei der Veröffentlichung oder Rückweisung halten. «Und beide Redaktionen schätzen die Leserbriefkultur in Liechtenstein», sagte Daniela Fritz von der Chefredaktion des «Volksblatts».

Dass die Richtlinien sowohl dem Eigenschutz dienen als auch dem Schutz der Leserbriefschreiber, zeigte schon die Anwesenheit von Staatsanwalt Frank Haun auf dem Podium. Er stellte zwar klar, dass angesichts der zahlreichen in Liechtenstein veröffentlichten Lesermeinungen nicht viele gegen Bestimmungen des Strafrechts verstossen. «Es gilt aber auch der Schutz der Person. Niemand muss sich beleidigen lassen.» Üble Nachrede, Verleumdung und Beleidigung seien jedoch Gegenstand von Privatklagen und nicht Sache der Staatsanwaltschaft. «Diese kommt dann ins Spiel, wenn die Menschenwürde angegriffen wird», sagte Frank Haun. Solche Fälle von Diskriminierung behandeln er uns seine Kollegen fünf bis zehn pro Jahr. Oft gelte es dabei abzuwägen, ob es sich schon um eine Diskriminierung handle oder noch um eine freie Meinungsäusserung, wie sie die Verfassung gewährleistet. Wenn eine Gruppe von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung mit Tieren verglichen werde, gebe es aber seines Erachtens keinen Argumentationsspielraum mehr, griff Haun ein bekanntes Beispiel aus einem Leserbrief auf. Deutlich wurde auch, dass eine Person ein dickeres Fell haben muss, wenn sie in der Öffentlichkeit steht. «Aber auch ein Regierungschef oder Landtagsabgeordneter muss sich nicht beleidigen lassen.»

Sich im Dialog verstanden fühlen

Daniela Fritz zeigte auf, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung nicht gleichbedeutend damit ist, dass diese Meinung auch gedruckt wird. Das wiederum stösst nicht immer auf Verständnis. «Mir selbst ist dies noch nicht oft passiert. Aber ich höre es häufig aus meinem Umfeld», sagte Carmen Sprenger-Lampert, die auch die in den Redaktionsrichtlinien festgehaltenen Gründe für eine Ablehnung von Leserbriefen zuweilen als praktische Ausrede empfindet und gleichzeitig schon manche heftige Reaktion auf ihre publizierten Einsendungen erfahren hat. So wurde ihr - ebenfalls in einem Leserbrief - geraten, zurück nach Österreich zu gehen, wenn es ihr in Liechtenstein nicht passe.

Frank Haun, selbst österreichischer Herkunft, verwies mit einem Augenzwinkern darauf, dass ihm dies in den vergangenen 20 Jahren in Liechtenstein ebenfalls schon häufiger nahegelegt wurde. Der angesprochene Leserbrief sei seines Erachtens jedenfalls noch nicht diskriminierend. «Ein anderer Staatsanwalt könnte dies aber anders sehen», sagte Haun. Patrik Schädler verwies, ebenfalls mit einem Schmunzeln auf den Lippen, auf die 37 Leserbriefe, die Carmen Sprenger-Lampert im vergangenen Jahr an das «Vaterland» gesendet hat. «Damit ist man vielleicht auch schon eine Person des öffentlichen Lebens.» Carmen Sprenger-Lampert verwies versöhnlich darauf, dass sie mit Kritik gut umgehen kann, es aber immer schätzt, wenn sich beide Seiten im Dialog verstanden fühlen. Dies zumindest dürfte jedoch nicht die Intention von allen regelmässigen Leserbriefschreibern sein.

© Abschrift der Berichterstattung aus dem Liechtensteiner Volksblatt (hb), Foto: Paul Trummer